Auf ein Wort Ein leuchtender Fleck
Standdatum: 16. Juni 2024.
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Kunst in seinen besten Momenten schafft es, in uns eine Schwingung zu erzeugen, die sogar bis ins Metaphysische reicht, ist Winfried Herzog überzeugt.
Ich kam in die Arztpraxis und setzte mich ins Wartezimmer. Als ich mich umschaute, blieb mein Blick an einem großflächigen Bild hängen, das seinen Platz genau mir gegenüber hatte. Darauf waren drei große Farbfelder zu erkennen, die in rechteckiger Form untereinander angeordnet waren.
In leuchtendem Gelb und Orange gehalten, gingen die einzelnen Farbfelder sanft ineinander über. Mehr war nicht zu sehen. Und doch war die Wirkung enorm. Ich fühlte mich zu den leuchtenden Farben hingezogen und merkte nach einer Weile, wie der Anblick mir guttat.
Bei dem Bild handelte es sich um eine dieser Farbkompositionen von dem amerikanischen Künstler Mark Rothko. Er hat die abstrakte Kunst, vor allem die Farbfeldmalerei, ganz wesentlich geprägt. Was ich nicht wusste: dass er aus einer jüdischen Familie in Lettland stammte. Er musste früh unter dem Eindruck von jüdischen Pogromen im Zarenreich fliehen und wanderte nach Amerika aus. Mit dem später Holocaust wiederholte sich sein Kindheitstrauma. Er legte seinen jüdisch klingenden Namen Marcus Rothkowitz ab und wurde zu Mark Rothko.
Kein einfaches Leben. Und kein Wunder, dass er lebenslang mit Depressionen zu kämpfen hatte. Er rang mit existentiellen Fragen, kam immer wieder ins Zweifeln und Grübeln – und seine künstlerische Form fand Rothko erst nach dem Trauma des Zweiten Weltkriegs. Denn dann wurde für ihn klar, dass sein künstlerischer Weg nur über die Abstraktion gehen konnte. Nach Ausschwitz waren die Grenzen des konkret Darstellbaren erreicht. Und so wurde er zum berühmten Farbfeldmaler.
Kunst in seinen besten Momenten schafft es, in uns eine Schwingung zu erzeugen, die sogar bis ins Metaphysische reicht. Meist ist es Künstlern gelungen, vielleicht so etwas wie einen Zipfel des Überirdischen zu berühren. Und das war auch bei Mark Rothko so.
Er hatte die alten, italienischen Meister eingehend studiert. Sie alle waren durchdrungen von einer tiefen Frömmigkeit. Mark Rothko hat es für sich einmal so ausgedrückt: "Gott ist für mich ein leuchtender Fleck." Vielleicht ist das auch ein Grund, warum seine Bilder heute noch funktionieren und so lebendig rüberkommen. Und warum auch in einer farbigen Fläche eine Menge Trost liegen kann.